Sonntag, 18. Dezember 2011

Begegnungen


Das Eintauchen in ein komplett anderes Lebensumfeld ist mit der Begegnung vieler neuen Menschen verbunden, was zugleich Risiken als auch Chancen birgt. Risiken, weil man gerade als Fremder in einer anderen Kultur nicht weiß, wem man begegnen wird und vor allem, wie einem die Menschen in diesem Land begegnen werden. Chancen, weil man die Möglichkeit bekommt, von neuen Menschen kennengelernt zu werden, die in einem vielleicht etwas anderes erkennen als das bis dahin schon Bekannte - wodurch man auch sich selbst noch einmal auf andere Art erleben und kennenlernen kann.

Der österreichischen Dramatiker und Erzähler Arthur Schnitzler schreibt „Man kann sich wohl den Weg wählen,
aber nicht die Menschen, denen man begegnet.“ In diesem Sinne, habe ich wohl das Glück den richtigen Weg gewählt zu haben, da ich bis jetzt während meines Freiwilligendienstes so vielen interessanten und tollen Menschen begegnet bin.

Dieser Blogbericht ist deshalb den Menschen gewidmet, denen ich hier bisher begegnet bin. Einige sind zwar bereits in meinen Berichten aufgetaucht aber verdienen noch einige weitere Zeilen und natürlich auch noch eine visuelle Darstellung ihrer Person:


Meine Gastmutter Julia
Julia ist im wahrsten Sinne zu meiner Gastmutter geworden. Ich werde von ihr weiterhin fleißig bekocht und umsorgt. Sie steht mir immer zur Seite, wenn ich Hilfe brauche. Da sie Englischlehrerin bei mir an der Schule ist, kann ich mich vor allem mit ihr auch mal auf Englisch austauschen und so Sachen loswerden, die ich auf Russisch nicht so einfach ausdrücken könnte. Ich arbeite hauptsächlich in ihren Englischunterrichten mit bzw. leite Kleingruppen, sodass ich auch die Möglichkeit habe mich mit ihr über die Schüler und den Unterricht auszutauschen und Unterstützung von ihr zu bekommen, wenn es nötig ist.
Praktischer Weise gibt sie mir auch Russischunterricht und ist sehr engagiert mein Russisch zu verbessern.
Neben der Schule ist Julia vor allem mit Tanzen beschäftigt. Vier bis fünf Mal in der Woche geht sie nach der Schule Irish Dancing, Stepp und verschiedene Volkstanzstile tanzen. Einmal war ich mit ihr beim Tanzen und habe sogar mitgemacht. Allerdings hat das Ganze meine Koordinationsfähigkeit weit überschritten. Wie immer sind Sachen, die einfach aussehen in Wirklichkeit viel schwieriger. Und das, was dort getanzt wurde, sah noch nicht einmal einfach aus. Seit einiger Zeit bietet das Sportlehrer-Paar von unserer Schule, das professionell Standard tanzt, drei mal in der Woche Standarttanzunterricht an für alle, die interessiert sind, wo Julia meistens auch noch hingeht. Julia ist also ein richtiger Tanz- Junkie.
Für mich am wichtigsten ist aber natürlich, dass Julia und ich einfach super miteinander auskommen und ich bin sehr dankbar dafür, dass ich sie habe.


Mein Gastbruder Kirill
Kirill ist frischgebackene 17 Jahre alt, geht in die 11. Klasse und ist damit in seinem Abschlussjahr auf der Schule hier in der Ukraine. Die Begeisterung fürs Tanzen liegt wohl im Blut, denn auch Kirill tanzt drei mal pro Woche HipHop. Die Affinität zu Fremdsprachen hat sich allerdings irgendwie rausgemendelt. Kirill spricht nur sehr wenig Englisch, aber zum Glück bin ich mittlerweile im Russischen fit genug, dass wir uns gut unterhalten können. Neben dem Tanzen hat Kirill noch zwei Mal in der Woche Klavierunterricht und wir beide haben zusammen angefangen Gitarre- und Gesangsunterricht zu nehmen. Wenn er zu Hause ist, sitzt er meistens am PC und spielt irgendwelche Computerspiele oder treibt sich auf der russische Version von Facebook „V-Kontakte“ rum. Zu seinem Vater, Julias Ex-Mann, hat Kirill nur sehr wenig Kontakt. Was Kirill nach der Schule machen möchte, weiß er, wie mir scheint, noch nicht so genau. Da die Schüler hier in der Ukraine schon nach der 11. Klasse mit der Schule fertig sind, müssen sie sich relativ früh (meiner Meinung nach zu früh) entscheiden, was sie werden wollen. Bei Kirill wird es aber wahrscheinlich so in die Richtung Design, Kunst oder Architektur gehen.




Meine Gastoma Ljuda
Ljuba, die Mutter von Julia, wohnt ganz in der Nähe von uns und ist so auch öfter mal bei uns. Sie ist noch relativ jung für eine Oma (ich denke so Ende 50) und ruft ungefähr gefühlte 100 Mal am Tag Julia an, um ihr irgendetwas zu sagen, zu erzählen oder etwas zu fragen. Ansonsten ist sie aber ein herzensguter Mensch und genau wie Julia eine hervorragende Köchin, die uns oft irgendwelche Leckereien vorbeibringt.








Die Lehrer und Schüler in meinem Projekt
Mittlerweile fühle ich mich richtig heimisch in meinem Projekt. Alle Lehrer sind sehr freundlich zu mir und mit vielen ist es schon richtig kollegial geworden. Seit mehreren Wochen gebe ich nun auch noch zwei Mal in der Woche einen Deutschkurs für mehrere Lehrer, die mich darum gebeten haben, weil sie gerne Deutsch lernen wollen.
Zu den Schülern habe ich auch ein super Verhältnis. Die meistens sind sehr offen mir gegenüber, kommen auf mich zu und grüßen mich immer. Vor allem die Schüler, die ich auch unterrichte, sind mir inzwischen richtig ans Herz gewachsen.


Mein Verein
Mit der leisen Hoffnung, in der Ukraine die Möglichkeit zu haben, weiter Badminton zu spielen (da ich in Deutschland schon seit mehreren Jahren Badminton im Verein gespielt habe), habe ich meinen Badmintonschläger mit in mein Gepäck gezwängt, auch wenn ich nicht wirklich damit rechnete, in der Ukraine einen Verein zu finden. Letztendlich stellte sich aber heraus, dass Badminton hier ein richtiger Breitensport ist. So habe ich in den ersten Wochen während meiner Zeit hier gleich mehrere Vereine ausprobieren können und habe schließlich den PERFEKTEN Verein gefunden! Die Trainingshalle lässt sich in ca. 10 Minuten zu Fuß von der Schule aus erreichen, sodass ich oft länger in der Schule bleibe, da es sich nicht lohnt, den Heimweg von über einer Stunde anzutreten. Die Spieler im Verein sind alles richtige Supertalente und viele spielen schon seit sie einen Schläger halten können. Oft wird hier noch wie zu Sowjetzeiten sehr auf Drill trainiert, wobei die Trainer aber alle  super freundlich sind. Jeden Tag außer Sonntags findet gleich zu mehreren Zeiten Training statt und ich habe hier so eine Liebe zu diesem Sport bekommen, dass ich 4 bis 6 mal die Woche trainiere, teilweise sogar schon morgens um 8.00 Uhr bevor ich Unterricht habe. Mein Alltag dreht sich also im hauptsächlich um Schule und Badminton.
Mit den meisten Spielern aus meinem Verein habe ich mich schon richtig angefreundet und komme gut mit ihnen aus, auch wenn viele jünger sind, weil die meisten älteren Spieler schlichtweg zu gut spielen. Alle sind ziemlich ehrgeizig und ein paar Spieler haben sogar bei der Junioren-Europameisterschaft im Badminton im November diesen Jahres teilgenommen, die in Portugal stattfand. 

Die Halle befindet sich neben dem alten Fußballstadion
von FC Dnipround schon ein Banner weist auf Russisch darauf
hin, dass man hier "Badminton" spielen kann

Außenansicht der Halle



Innenansicht der Halle

Der Besuch der deutschen Austauschschüler
Schon im letzten Bericht habe ich erwähnt, dass Anfang November eine Delegation von deutschen Austauschschülern für knapp zwei Wochen zu uns an die Schule gekommen ist. Die Schüler und zwei Lehrer waren von der Waldorfschule aus Engstingen (Baden-Württemberg), die die deutsche Partnerschule von der Dnipropetrovsker Waldorfschule ist. Wie bereits schon geschrieben, findet dieser Austausch zwischen den beiden Schulen schon seit mehr als 10 Jahren statt. Jedes Jahr fahren die 9.-Klässler der Dnipropetrovsker Waldorfschule am Ende des Schuljahrs für knappe zwei Wochen nach Deutschland und im November kommen dann die deutschen Schüler in die Ukraine.
In der Zeit als die Deutschen hier waren, war einiges los und ich war ganz schön beschäftigt. Ständig stand irgendetwas auf dem Programm und ich habe auch noch jeden Morgen Englisch mit einigen der deutschen Schüler im Hauptunterricht (die ersten beiden Schulstunden) gemacht, neben noch weiteren extra Unterrichtsstunden mit den Deutschen. Am Wochenende, nach der Anreise der Deutschen, sind wir alle zusammen mit den ukrainischen Gastgeberschülern ins Fußballstadion gegangen. Es kam zur Begegnung zwischen FC Dnipro und Arsenal Cherkassy. Das Ergebnis des Spiels: 1:0 für FC Dnipro, für den wir natürlich mitgejubelt hatten. Mein Ergebnis des Spiels: Naja, wenn man aus Dortmund kommt ist man ja etwas fußballverwöhnt (sowohl was die Stimmung im Stadion als auch die Qualität des Fußballs angeht), deshalb war es jetzt nicht der Riesenknaller, aber immerhin schon interessant, einmal die Stimmung in einem ausländischen Fußballstation mitzubekommen.
Der Besuch der deutschen Austauschschüler war eine ganz besondere Begegnung
und zwar nicht nur für mich, sondern in vielerlei Hinsicht auch für die ukrainischen und deutschen Schüler. Für mich waren die knapp zwei Wochen des Besuchs insofern sehr interessant, weil ich die Möglichkeit hatte, zu beobachten wie junge Schüler aus zwei ganz verschiedenen Welten aufeinander treffen und miteinander umgehen. Außerdem konnte ich mich mal so richtig als Lehrer erproben, da ich nun mit Hilfe meiner eigenen Muttersprache unterrichten konnte. Ich durfte mit einem bescheidenden Lächeln auf den Lippen und gesteigertem Selbstvertrauen im Herzen von den Schülern Sätze wie „Du musst unbedingt Lehrer werden!“ oder „Willst du nicht zu uns an die Schule kommen und uns weiter unterrichten?“ entgegennehmen.


 Simon (deut.), Vlad (ukr.), Kirill, Paula (deut.) und Adrean (ukr.) (v. l. n. r.):
 Freitag vor dem Fußballspiel haben alle bei uns übernachtet
und am nächsten Morgen wurde erst einmal UNO gespielt

Christian und Guido (beide Lehrer von der Waldorfschule in Engstingen)
waren zusammen mit Nikolai (mit Julia zusammen Klassenbetreuer der 10. Klasse,
also der Gastgeberklasse) und seiner Frau bei uns zum Essen eingeladen

Samuel (deut.), Vova (ukr.), Olja (ukr.) und ich:
Im Stadion, ausgestattet mit Fanschals

Luca, Simon, ich, Vlad und Paula vor dem Stadion 


Natürlich bin ich bis jetzt noch vielen anderen Menschen begegnet und auch die Spieler aus meinem Verein, die Lehrer und die Schüler wurden von mir nur im Kollektiv erwähnt. Allerdings würde es den Rahmen sprengen, jede Begegnung detailliert zu beschreiben. Und mit „Rahmen sprengen“ meine ich, es wäre mir schlichtweg auch zu viel, weil es so viel zu schreiben gäbe. Wer also die Menschen in meinem Umfeld noch genauer kennenlernen möchte, der muss mich wohl einfach einmal besuchen kommen!

Grüße in alle Himmelsrichtungen!

Euer Genosse Lukas

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