Sonntag, 18. Dezember 2011

Begegnungen


Das Eintauchen in ein komplett anderes Lebensumfeld ist mit der Begegnung vieler neuen Menschen verbunden, was zugleich Risiken als auch Chancen birgt. Risiken, weil man gerade als Fremder in einer anderen Kultur nicht weiß, wem man begegnen wird und vor allem, wie einem die Menschen in diesem Land begegnen werden. Chancen, weil man die Möglichkeit bekommt, von neuen Menschen kennengelernt zu werden, die in einem vielleicht etwas anderes erkennen als das bis dahin schon Bekannte - wodurch man auch sich selbst noch einmal auf andere Art erleben und kennenlernen kann.

Der österreichischen Dramatiker und Erzähler Arthur Schnitzler schreibt „Man kann sich wohl den Weg wählen,
aber nicht die Menschen, denen man begegnet.“ In diesem Sinne, habe ich wohl das Glück den richtigen Weg gewählt zu haben, da ich bis jetzt während meines Freiwilligendienstes so vielen interessanten und tollen Menschen begegnet bin.

Dieser Blogbericht ist deshalb den Menschen gewidmet, denen ich hier bisher begegnet bin. Einige sind zwar bereits in meinen Berichten aufgetaucht aber verdienen noch einige weitere Zeilen und natürlich auch noch eine visuelle Darstellung ihrer Person:


Meine Gastmutter Julia
Julia ist im wahrsten Sinne zu meiner Gastmutter geworden. Ich werde von ihr weiterhin fleißig bekocht und umsorgt. Sie steht mir immer zur Seite, wenn ich Hilfe brauche. Da sie Englischlehrerin bei mir an der Schule ist, kann ich mich vor allem mit ihr auch mal auf Englisch austauschen und so Sachen loswerden, die ich auf Russisch nicht so einfach ausdrücken könnte. Ich arbeite hauptsächlich in ihren Englischunterrichten mit bzw. leite Kleingruppen, sodass ich auch die Möglichkeit habe mich mit ihr über die Schüler und den Unterricht auszutauschen und Unterstützung von ihr zu bekommen, wenn es nötig ist.
Praktischer Weise gibt sie mir auch Russischunterricht und ist sehr engagiert mein Russisch zu verbessern.
Neben der Schule ist Julia vor allem mit Tanzen beschäftigt. Vier bis fünf Mal in der Woche geht sie nach der Schule Irish Dancing, Stepp und verschiedene Volkstanzstile tanzen. Einmal war ich mit ihr beim Tanzen und habe sogar mitgemacht. Allerdings hat das Ganze meine Koordinationsfähigkeit weit überschritten. Wie immer sind Sachen, die einfach aussehen in Wirklichkeit viel schwieriger. Und das, was dort getanzt wurde, sah noch nicht einmal einfach aus. Seit einiger Zeit bietet das Sportlehrer-Paar von unserer Schule, das professionell Standard tanzt, drei mal in der Woche Standarttanzunterricht an für alle, die interessiert sind, wo Julia meistens auch noch hingeht. Julia ist also ein richtiger Tanz- Junkie.
Für mich am wichtigsten ist aber natürlich, dass Julia und ich einfach super miteinander auskommen und ich bin sehr dankbar dafür, dass ich sie habe.


Mein Gastbruder Kirill
Kirill ist frischgebackene 17 Jahre alt, geht in die 11. Klasse und ist damit in seinem Abschlussjahr auf der Schule hier in der Ukraine. Die Begeisterung fürs Tanzen liegt wohl im Blut, denn auch Kirill tanzt drei mal pro Woche HipHop. Die Affinität zu Fremdsprachen hat sich allerdings irgendwie rausgemendelt. Kirill spricht nur sehr wenig Englisch, aber zum Glück bin ich mittlerweile im Russischen fit genug, dass wir uns gut unterhalten können. Neben dem Tanzen hat Kirill noch zwei Mal in der Woche Klavierunterricht und wir beide haben zusammen angefangen Gitarre- und Gesangsunterricht zu nehmen. Wenn er zu Hause ist, sitzt er meistens am PC und spielt irgendwelche Computerspiele oder treibt sich auf der russische Version von Facebook „V-Kontakte“ rum. Zu seinem Vater, Julias Ex-Mann, hat Kirill nur sehr wenig Kontakt. Was Kirill nach der Schule machen möchte, weiß er, wie mir scheint, noch nicht so genau. Da die Schüler hier in der Ukraine schon nach der 11. Klasse mit der Schule fertig sind, müssen sie sich relativ früh (meiner Meinung nach zu früh) entscheiden, was sie werden wollen. Bei Kirill wird es aber wahrscheinlich so in die Richtung Design, Kunst oder Architektur gehen.




Meine Gastoma Ljuda
Ljuba, die Mutter von Julia, wohnt ganz in der Nähe von uns und ist so auch öfter mal bei uns. Sie ist noch relativ jung für eine Oma (ich denke so Ende 50) und ruft ungefähr gefühlte 100 Mal am Tag Julia an, um ihr irgendetwas zu sagen, zu erzählen oder etwas zu fragen. Ansonsten ist sie aber ein herzensguter Mensch und genau wie Julia eine hervorragende Köchin, die uns oft irgendwelche Leckereien vorbeibringt.








Die Lehrer und Schüler in meinem Projekt
Mittlerweile fühle ich mich richtig heimisch in meinem Projekt. Alle Lehrer sind sehr freundlich zu mir und mit vielen ist es schon richtig kollegial geworden. Seit mehreren Wochen gebe ich nun auch noch zwei Mal in der Woche einen Deutschkurs für mehrere Lehrer, die mich darum gebeten haben, weil sie gerne Deutsch lernen wollen.
Zu den Schülern habe ich auch ein super Verhältnis. Die meistens sind sehr offen mir gegenüber, kommen auf mich zu und grüßen mich immer. Vor allem die Schüler, die ich auch unterrichte, sind mir inzwischen richtig ans Herz gewachsen.


Mein Verein
Mit der leisen Hoffnung, in der Ukraine die Möglichkeit zu haben, weiter Badminton zu spielen (da ich in Deutschland schon seit mehreren Jahren Badminton im Verein gespielt habe), habe ich meinen Badmintonschläger mit in mein Gepäck gezwängt, auch wenn ich nicht wirklich damit rechnete, in der Ukraine einen Verein zu finden. Letztendlich stellte sich aber heraus, dass Badminton hier ein richtiger Breitensport ist. So habe ich in den ersten Wochen während meiner Zeit hier gleich mehrere Vereine ausprobieren können und habe schließlich den PERFEKTEN Verein gefunden! Die Trainingshalle lässt sich in ca. 10 Minuten zu Fuß von der Schule aus erreichen, sodass ich oft länger in der Schule bleibe, da es sich nicht lohnt, den Heimweg von über einer Stunde anzutreten. Die Spieler im Verein sind alles richtige Supertalente und viele spielen schon seit sie einen Schläger halten können. Oft wird hier noch wie zu Sowjetzeiten sehr auf Drill trainiert, wobei die Trainer aber alle  super freundlich sind. Jeden Tag außer Sonntags findet gleich zu mehreren Zeiten Training statt und ich habe hier so eine Liebe zu diesem Sport bekommen, dass ich 4 bis 6 mal die Woche trainiere, teilweise sogar schon morgens um 8.00 Uhr bevor ich Unterricht habe. Mein Alltag dreht sich also im hauptsächlich um Schule und Badminton.
Mit den meisten Spielern aus meinem Verein habe ich mich schon richtig angefreundet und komme gut mit ihnen aus, auch wenn viele jünger sind, weil die meisten älteren Spieler schlichtweg zu gut spielen. Alle sind ziemlich ehrgeizig und ein paar Spieler haben sogar bei der Junioren-Europameisterschaft im Badminton im November diesen Jahres teilgenommen, die in Portugal stattfand. 

Die Halle befindet sich neben dem alten Fußballstadion
von FC Dnipround schon ein Banner weist auf Russisch darauf
hin, dass man hier "Badminton" spielen kann

Außenansicht der Halle



Innenansicht der Halle

Der Besuch der deutschen Austauschschüler
Schon im letzten Bericht habe ich erwähnt, dass Anfang November eine Delegation von deutschen Austauschschülern für knapp zwei Wochen zu uns an die Schule gekommen ist. Die Schüler und zwei Lehrer waren von der Waldorfschule aus Engstingen (Baden-Württemberg), die die deutsche Partnerschule von der Dnipropetrovsker Waldorfschule ist. Wie bereits schon geschrieben, findet dieser Austausch zwischen den beiden Schulen schon seit mehr als 10 Jahren statt. Jedes Jahr fahren die 9.-Klässler der Dnipropetrovsker Waldorfschule am Ende des Schuljahrs für knappe zwei Wochen nach Deutschland und im November kommen dann die deutschen Schüler in die Ukraine.
In der Zeit als die Deutschen hier waren, war einiges los und ich war ganz schön beschäftigt. Ständig stand irgendetwas auf dem Programm und ich habe auch noch jeden Morgen Englisch mit einigen der deutschen Schüler im Hauptunterricht (die ersten beiden Schulstunden) gemacht, neben noch weiteren extra Unterrichtsstunden mit den Deutschen. Am Wochenende, nach der Anreise der Deutschen, sind wir alle zusammen mit den ukrainischen Gastgeberschülern ins Fußballstadion gegangen. Es kam zur Begegnung zwischen FC Dnipro und Arsenal Cherkassy. Das Ergebnis des Spiels: 1:0 für FC Dnipro, für den wir natürlich mitgejubelt hatten. Mein Ergebnis des Spiels: Naja, wenn man aus Dortmund kommt ist man ja etwas fußballverwöhnt (sowohl was die Stimmung im Stadion als auch die Qualität des Fußballs angeht), deshalb war es jetzt nicht der Riesenknaller, aber immerhin schon interessant, einmal die Stimmung in einem ausländischen Fußballstation mitzubekommen.
Der Besuch der deutschen Austauschschüler war eine ganz besondere Begegnung
und zwar nicht nur für mich, sondern in vielerlei Hinsicht auch für die ukrainischen und deutschen Schüler. Für mich waren die knapp zwei Wochen des Besuchs insofern sehr interessant, weil ich die Möglichkeit hatte, zu beobachten wie junge Schüler aus zwei ganz verschiedenen Welten aufeinander treffen und miteinander umgehen. Außerdem konnte ich mich mal so richtig als Lehrer erproben, da ich nun mit Hilfe meiner eigenen Muttersprache unterrichten konnte. Ich durfte mit einem bescheidenden Lächeln auf den Lippen und gesteigertem Selbstvertrauen im Herzen von den Schülern Sätze wie „Du musst unbedingt Lehrer werden!“ oder „Willst du nicht zu uns an die Schule kommen und uns weiter unterrichten?“ entgegennehmen.


 Simon (deut.), Vlad (ukr.), Kirill, Paula (deut.) und Adrean (ukr.) (v. l. n. r.):
 Freitag vor dem Fußballspiel haben alle bei uns übernachtet
und am nächsten Morgen wurde erst einmal UNO gespielt

Christian und Guido (beide Lehrer von der Waldorfschule in Engstingen)
waren zusammen mit Nikolai (mit Julia zusammen Klassenbetreuer der 10. Klasse,
also der Gastgeberklasse) und seiner Frau bei uns zum Essen eingeladen

Samuel (deut.), Vova (ukr.), Olja (ukr.) und ich:
Im Stadion, ausgestattet mit Fanschals

Luca, Simon, ich, Vlad und Paula vor dem Stadion 


Natürlich bin ich bis jetzt noch vielen anderen Menschen begegnet und auch die Spieler aus meinem Verein, die Lehrer und die Schüler wurden von mir nur im Kollektiv erwähnt. Allerdings würde es den Rahmen sprengen, jede Begegnung detailliert zu beschreiben. Und mit „Rahmen sprengen“ meine ich, es wäre mir schlichtweg auch zu viel, weil es so viel zu schreiben gäbe. Wer also die Menschen in meinem Umfeld noch genauer kennenlernen möchte, der muss mich wohl einfach einmal besuchen kommen!

Grüße in alle Himmelsrichtungen!

Euer Genosse Lukas

Donnerstag, 1. Dezember 2011

Von Gucci-Deutsch, Paarvernichtung und der Definition einer Kreis(verkehr)stadt

Ein Besuch in Kiew ist immer allein deshalb schon lohnenswert, weil man auf aufregend unberechenbare Weise nie voraussagen kann, was man erleben wird. Man muss einfach auf das nächste Erlebnis, das nächste Abenteuer warten.
So fahre ich auch vollkommen unorganisiert und ohne Plan (die Ukrainisierung hat schon ganze Arbeit geleistet und mich entdeutschisiert) am letzten Oktoberwochenende nach Kiew, da ich von meiner betreuenden Organisation in der Ukraine ALTERNATIVE-V zum "Volunteer's Day" eingeladen wurde, eine Veranstaltung mit sowohl den ausländischen als auch den inländischen Freiwilligen von ALTERNATIVE-V.

In der letzten Oktober-Woche habe ich passender Weise auch Herbstferien und so fahre ich schon am Mittwoch Abend mit dem Nachtzug nach Kiew. Am Donnerstag Morgen komme ich dann in aller Herrgottsfrühe um 6:00 Uhr in Kiew an und gönne mir im Bahnhofs-MCDonald's erstmal ein "Хэппи Мил" (Chäppi Mil = Happy Meal) zum Frühstück. Nach dieser kleinen Stärkung stürze ich mich dann ins Gewusel der Metrostation, um mich zum Hostel aufzumachen, in dem ich auch schon das erste Mal in Kiew übernachtet habe (beim ersten Bericht über Kiew habe ich übrigens ganz vergessen zu erwähnen, dass das Hostel den traumhaften Namen „Dream Hostel“ hat – nomen est omen, fragt ihr euch? Ja, ich denke für ukrainische Verhältnisse auf jeden Fall). Es folgte eine kleine Odyssee durch Kiews Untergrundnetz, weil ich blöder Weise vergessen habe, wie die Metrostation heißt, wo sich das Hostel befindet. Nach mehren Fehlversuchen habe ich es aber schließlich doch geschafft und bin an der richtigen Metrostation ausgestiegen.
Ich mache mich auf die Suche nach der unscheinbaren Stahltür, durch die ich das letzte Mal unerwarteter Weise zum Dream Hostel gekommen bin. Zum Glück ist sie immer noch da (in der Ukraine weiß man da nie – letztens war einfach mal die Bude verschwunden, an der wir uns immer unser Trinkwasser holen. Nach einem Tag ist sie allerdings wieder aufgetaucht und stand am üblichen Platz als wäre nichts gewesen) und auch der Türcode des mechanischen Zahlenschlosses hat sich nicht geändert, sodass ich mir Zutritt verschaffen kann. Eine Mischung aus ukrainischer Abgeklärtheit, Faulheit und Draufgängertum lassen mich sogar den sargähnlichen Aufzug benutzen, den ich beim letzten Mal entschieden gemieden habe.

Nachdem ich mich im Dream Hostel ein bisschen ausgeruht und frisch gemacht habe, geht es dann auf zum Büro von ALTERNATIVE-V. Obwohl der Volunteers Day erst einen Tag später (am Freitag) ist, hat man mich gebeten schon Donnerstag ins Büro zu kommen, um ein paar Dinge abzuklären. Nach ein paar kleinen organisatorischen Angelegenheiten bezüglich meines Freiwilligendienstes, wird mir schließlich eröffnet, dass man sich gedacht habe, ich könne doch die Moderation des Volunteers Days übernehmen, immerhin zusammen mit einer Mitarbeiterin von ALTERNATIVE-V. In der Ukraine entwickelt man eine gewisse Seelengelassenheit und die  Gewissheit, dass alles schon irgendwie hinhauen wird, und so kann mich diese Neuigkeit nicht wirklich beunruhigen. Also kein Stress und ich lasse das Ganze mal gelassen auf mich zukommen.

Später treffe ich mich dann mit Carla (eine der beiden Freiwilligen, mit denen ich zusammen in die Ukraine geflogen bin und die beide in Projekten in Kiew arbeiten). Wir gehen zusammen etwas im Пузата Хата essen, was so viel wie kugelbauchige Hütte heißt und die größte Restaurantkette in der Ukraine ist. An fast jeder Straßenecke im Land gibt es ein Пузата Хата und man kann für wenig Geld sehr gut typisch ukrainisch essen gehen. Danach machen wir uns auf den Weg zu Luisa (die andere Freiwillige). Sie gibt gerade einen Englischkurs in ihrem Projekt, von dem wir sie abholen und gemeinsam machen wir uns auf den Weg ins Zentrum von Kiew. Dort treffen wir uns mit Felix und André. Felix ist ebenfalls deutscher Freiwilliger, hat allerdings schon ein Jahr hier in der Ukraine verbracht und verlängert nun seinen Aufenthalt um ein weiters Jahr. Andre ist ein Freund von Felix und ukrainischer Student. Alle zusammen erkunden wir schließlich die Kiewer Kneipen (was für eine schöne Alliteration, oder?).
So unter Freiwilligen nutzen wir natürlich die Möglichkeit uns über die interessanten bis merkwürdigen Erlebnisse in den ersten zwei Monaten hier in der Ukraine auszutauschen. Carla hat zum Beispiel ein unangenehmes Problem mit Kakerlaken. Als abgehärteter Ukraine-Freiwilliger kann Felix Carla sofort weiterhelfen. Es folgt eine Anleitung wie man den Schädlingen beikommt, die nicht nur Carla ihr Gesicht verziehen ließ. Lasst nur so viel gesagt sein: eine giftige Chemikalie, Beinamputationen und zum Schluss ein Knackgeräusch spielen dabei eine Rolle. Carla hat sofort Skrupel, dass sie von der sich besonders für Tiere einsetzende Organisation PETA mit Farbbeuteln beschmissen wird, wenn sie die Vernichtung ihrer unliebsamen Mitbewohner auf diese brutale, allerdings einzige wirksame Weise angehen würde. Drei Kreuze, ein Klopfer auf meine Fensterbank (gilt Presssparn auch als Holz?) und was man noch so macht um sich vor Bösem zu bewahren, dass mir die Viecher fern bleiben.

Am nächsten Tag steht dann der Volunteers Day an. Der findet nicht, wie ich dachte, im eher kleinen Büro von ALTERNATIVE-V statt, sondern in einem doch recht großen extra gemieteten Veranstaltungsraum. Ich fühle mich in meinem Pulli und Jeans etwas underdressed neben den sich für das Event aufgestylten Mitarbeitern von ALTERNATIVE-V. Allerdings hatte ich auch nicht mit einer für ukrainische Verhältnisse sehr förmlichen und durchstrukturierten Veranstaltung gerechnet. So ca. 10 Minuten bevor es losgeht, gehe ich dann mit meiner Moderationspartnerin den Ablauf des Abends und das, was ich sagen soll, durch. Es folgt schließlich das eigentliche Event, bei dem über verschiedenen Möglichkeiten sich als Freiwilliger zu engagieren, referiert wird, Vorträge zu Umweltbewusstsein und Freiwilligenarbeit gehalten werden und mehrere Auszeichnungen an Mitarbeiter und ehemalige Freiwillige ausgehändigt werden. Danach gibt es noch Schnittchen, Tee und Gebäck, woran ich mich erst einmal reichlich bediene, weil ich den ganzen Tag noch nichts gegessen habe.

Nach der Veranstaltung lädt uns ALTERNATIVE-V noch spontan zum Bowlingspielen ein. Felix und Andre sind auch dabei. Etwas partyhungrig ziehen Carla, Luisa, Felix, Andre und ich, zusammen mit noch ein paar jungen ehemaligen ukrainischen Freiwilligen von ALTERNATIVE-V los, um uns eine Kneipe zu suchen. Wir landen schließlich in dem absoluten Kneipengeheimtipp von Kiew. Genauso unscheinbar wie auch das Dream Hostel, muss man zur Kneipe in einen dunklen Hinterhof und dann eine Kellertreppe runter gehen. Der doch sehr zwielichtige Zugangsweg zur Kneipe steht in schrillem Kontrast zu der modern eingerichteten Kneipe selber. Neben guter Musik und der coolen Einrichtung, sind es vor allem die Preise, die die Kneipe zu einem echten Geheimtipp werden lassen. Ein halber Liter Bier kostet hier umgerechnet 1 €!

Der Samstag verläuft eher unspektakulär. Erst einmal wird natürlich in Ruhe ausgeschlafen, auch wenn das etwas schwierig ist, denn in meinem Schlafraum im Dream Hostel befindet sich jemand, der dringend mal einen HNO konsultieren sollte, weil er so laut schnarcht als würde jemand direkt neben deinen Ohren ein paar trockene Klötze Holz zersägen. Nach ein paar interessanten Gesprächen mit den immer sehr interessanten Gästen vom Dream Hostel, gehe ich mit Varvara, eine ehemalige Freiwillige von ALTERNATIVE-V, Teilnehmerin unserer gestrigen Abendgesellschaft und ebenfalls Gast im Dream Hostel ein bisschen durch Kiew spazieren und wir treffen uns dann noch mit Carla und Luisa, die Varvara schon länger kennen, da sie mit ihr auf einem Seminar für Freiwillige hier in der Ukraine waren.

Am Samstag Abend mache ich mich dann wieder auf zum Bahnhof. Dort treffe ich mich mit einer Gruppe von Schülern und zwei Lehrern von der Waldorfschule in Enstingen (Baden-Württemberg), die für 10 Tage einen Schüleraustausch an meiner Schule in Dnipropetrovsk machen und den gleichen Zug nehmen wie ich. Dieser Austausch zwischen den beiden Schulen findet schon seit mehr als 10 Jahren statt. Jedes Jahr fahren die 9.-Klässler der Dnipropetrovsker Waldorfschule am Ende des Schuljahrs für knappe zwei Wochen nach Deutschland und im November kommen dann die deutschen Schüler in die Ukraine.
Sie haben etwas für mich mitgebracht! Da das Verschicken von Paketen und Post generell in der Ukraine so eine Sache ist (Carlas Paket mit Wintersachen ist zum Beispiel schon seit 3 Monaten verschollen und Luisa musste erst einmal aus heiterem Himmel 100 € bezahlen, weil auf ihrem Paket Wertsachen angegeben waren, die eine bestimmte Summe überschritten haben), hat im Vorfeld noch eine ausgetüftelte Übergabeaktion stattgefunden. Die deutsche Delegation ist mit dem Zug von Stuttgart über Berlin in die Ukraine gereist. Meine Mutter, zufällig am gleichen Tag unterwegs in einen Kurzurlaub nach Berlin, hat bei einem Zwischenstopp des Zuges eine Tasche mit meinen Wintersachen an einen der sehr freundlichen Lehrer in den Zug gereicht. So konnte ich am Samstag Abend meine wegen der zunehmenden Kälte schon heiß ersehnten Wintersachen in Empfang nehmen und in aller Ruhe den Nachtzug zurück nach Dnipropetrovsk nehmen.


Aber da war doch noch was, oder? Ach ja, die Überschrift! Warum also Gucci-Deutsch, Paarvernichtung und Kreis(verkehrs)stadt? Habe ich etwa in Kiew sinnlos überteuertes Highsociety-Deutsch benutzt, oder habe ich den Entkuppler für mehrere Liebespaare gespielt (so zusagen als eine Art Evil Twin von Cupido) oder die sehenswürdigen Kreisverkehre Kiews erkundet? Keineswegs! Diese Wörter sind unverhofft in Kiew geboren und sind so sinnfrei wie sagenhaft. Aus der Abi-Zeit ist man ja noch darauf getrimmt in alles etwas reininterpretieren zu können. Deshalb könnte ich jetzt zu Unrecht behaupten, dass diese Wörter sinnbildlich für diese Tage in Kiew stehen. Eigentlich sind sie aber nur das Ergebnis eines sehr lustigen Wochenendes in Kiew. Manchmal tut es nämlich einfach gut volle Wortgewalt zu haben und mit anderen Deutschen ein bisschen rumzualbern. So stelle ich euch jetzt Definition und Etymologie der Wörter wie immer mit viel Rumgeschweife und einem fröhlichen "Wusstet ihr schon..." vor:

Wusstet ihr schon, was da bei rumkommt, wenn ein Ukrainer versucht "gutes Deutsch" zu sagen? Die Antwort lautet "Gucci-Deutsch" und sie kam von André, als wir am ersten Abend alle zusammen etwas trinken waren. Das lustige Ergebnis mag dem Sprachmix aus Russisch, Englisch, Deutsch und Ukrainisch geschuldet sein, den wir an diesem Abend zur Kommunikation benutzten. Das Attribut "Gucci" wurde von da an als eine Art neuer Superlativ von "gut" fleißig weiterbenutzt.

Wusstet ihr schon, was das englische Wort "annihilation" bedeutet? Nein? Nicht schlimm, wir wussten es auch nicht als Carla und ich am Donnerstag Abend zum Ende von Luisas Englisch-Club dazu stießen und das Wort die Lösung beim Hangmännchen war, das kurz vor Schluss gespielt wurde. Sofort wurde das Wort im Smartphone-Dictionary nachgeschaut und neben der nicht wirklich weiterhelfenden Übersetzung "Annihilation", spuckte das Dictionary das seltsame Wort "Paarvernichtung" aus. Allerdings konnten wir auch damit nicht wirklich etwas anfangen. Was soll denn auch bitteschön eine Paarvernichtung sein? Doch wenn man kreativ genug ist, dann finden sich einige lustige Momente, in denen man diesen „Wort-Exoten“ verwenden kann. Probiert es aus, wenn ihr wollt!

Wusstet ihr eigentlich schon, wodurch sich eine Kreisstadt definiert? Wer jetzt eine mit Beamtendeutsch vollgepfropfte Definition parat hat, mag von der simplen und auf bizarre Weise nicht ganz unlogischen Definition von Luisa überrascht sein. Um den stolzen Titel "Kreisstadt" verliehen zu bekommen, muss man nämlich einfach mindestens 5 Kreisverkehre in seiner Stadt haben. Klingt komisch, ist aber so, würde jetzt Peter Lustig von Löwenzahn sagen. Auch wenn es leider nicht so ist, würde es doch die ganze Angelegenheit stark vereinfachen.

So, das war es jetzt aber. Bald mehr darüber wie die Zeit hier mit den deutschen Austauschschülern war, über so einige andere Begegnungen und wie es bei mir eigentlich mit dem Verständigen läuft.

Viele Grüße aus der Kreisverkehrstadt Dnipropetrovsk

Euer Lukas




Varvara, Luisa, Carla und ich

Montag, 7. November 2011

Zeitungsartikel

Liebe Freunde,

am 5. November ist im Lokalteil der Westfälischen Rundschau ein Artikel von mir erschienen, in dem ich über meine Eindrücke während meines Freiwilligendienstes berichte.

Hier der Artikel für alle die ihn noch nicht in der Zeitung gelesen haben.

Mittwoch, 19. Oktober 2011

Im Smalltalk: Wetter, Essen und was noch so wichtig ist

Erstaunlich häufig wurde ich bis jetzt schon gefragt, wie das Wetter hier sei. Irgendwie kam es mir so vor, als würde in der Frage immer eine leise Mitleidsbekundung mitschwingen, da die meisten wahrscheinlich vermuteten, ich wäre hier in die Ausläufer der sibirischen Tundra gereist und müsste mich jeden Morgen mit Eishacke und Schneeschuhen zur Schule durchschlagen.
Bis jetzt ist dies zum Glück noch nicht so. Die ersten Wochen des Septembers waren hier noch sehr angenehm warm, ich hatte sogar Gelegenheit eine kurze Hose zu tragen. Mittlerweile ist es schon etwas kälter geworden, wobei es auch von Tag zu Tag sehr wechselhaft ist. An manchen Tagen klettert das Thermometer unter die 5°-Grenze und ich trage zumindest morgens schon Handschuhe und Mütze. Einen Tag später kann es aber schon gleich 10° wärmer sein.
Wie sich das Wetter gen Winter hin entwickeln wird und ob ich mich dann schließlich doch mit Schneeschuhen und Eishacke ausstatten muss, weiß ich noch nicht. Ich halte euch aber auf dem Laufenden.

Nun zum für mich wichtigsten Thema überhaupt: dem Essen. Vor meiner Abreise war ich sehr skeptisch, was da auf mich zukommen würde. Vor allem als Vegetarier wurde mir von vielen prophezeit, dass es für mich besonders schwer werden würde. So rieten mir ehemalige Freiwillige, die ebenfalls in der Ukraine waren, ich solle einfach eine Fleisch-Allergie vortäuschen um Miss- und Unverständnis vorzubeugen. 


Das Einzige was nun tatsächlich Gefahr läuft schwer ( bzw. noch schwerer) zu werden, bin ich. Julia, meine Gastmutter kocht jeden Tag gleich mehrmals. Mindestens einmal in der Woche wird frisches Brot und Kuchen selber gebacken. In der Regel werden gleich große Portionen von allem gekocht und mehrere Tag davon gezehrt und jeden Tag kommt etwas Neues dazu. Sei es Suppe, Gemüseragouts, Kompotts, gefüllte Teigtaschen, Salate, Pfannekuchen, Saucen, verschiedene Aufläufe und weitere Gerichte, für die ich gar keinen Sammelbegriff finden kann, immer wird irgendetwas gekocht. Nach dem Essen trinkt man hier in der Regel noch einen Tee, da während des Essens eigentlich nicht getrunken wird, und verschmaust noch ein paar Kekse, selbstgebackenen Kuchen oder auch noch ein Butterbrot.

Was mir hier sehr auffällt, ist der Umgang mit Nahrungsmitteln und die Art zu essen. Besonders im Vergleich mit jener Erfahrung, die ich während meines Auslandsaufenthaltes in der 11. Klasse in Amerika gesammelt habe, macht sich hier eine komplett andere Beziehung und Einstellung gegenüber Nahrungsmitteln bemerkbar. In Amerika schien Essen seinen Ursprung in schon verzehrfertiger Form im Supermarkt zu haben. Wir haben quasi nur Pakete und Tüten gekauft, die in der Mikrowelle zu so etwas wie Essen wurden. Und auch in Deutschland scheint uns der Blick dafür zu verschwimmen, wo Essen herkommt, was das aus der Dose eigentlich einmal war. In der Gemüseabteilung wird uns in der Regel auch nur gentechnisch schön geformtes Obst und Gemüse präsentiert und wenn irgendetwas nicht mehr ganz frisch und lecker ist, wird es sofort weggeschmissen.
In der Ukraine ist das anders. Das meiste Obst und Gemüse kommt von den Sommerhäusern von Bekannten oder der Familie, das dort selbst angebaut und geerntet wurde. Auch Lebensmittel wie Milch und Nüsse bekommen wir auf diesen Weg gleich in großen Mengen. Im Sommer und Herbst wird hier viel eingekocht für den Winter. Was mich besonders beeindruckt, dass hier so gut wie nichts weggeschmissen wird. Obst und Gemüse, das nicht mehr ganz so schön aussieht, wird von den nicht mehr guten Stellen befreit und dann einfach zu Saucen oder Kompotts verarbeitet. Für sauer gewordene Milch gibt es hier extra Rezepte, aus denen super leckere Kuchen und andere Teiggerichte werden.
Dieser Umgang mit Lebensmitteln hat mich auf jeden Fall unseren Umgang in Deutschland überdenken lassen. Was mir in Deutschland immer völlig normal erschien, lässt mich hier stutzig werden und ich erkenne erst in was für einer Wegwerfgesellschaft wir leben. So bin ich auch schließlich beim Recherchieren auf den erschreckenden Fakt gestoßen, dass wir so viele Nahrungsmittel wegschmeißen, dass damit zweimal alle Hungernden der Welt ernährt werden könnten. Traurig!

Ein weiteres interessantes Thema ist Politik. Anscheinend ist es aber nur für mich interessant, denn in der Ukraine herrscht gelebte Politikverdrossenheit. Ich kenne hier keinen, der Zeitungen empfängt oder Nachrichten schaut. Bis jetzt bin ich noch nicht einmal so sicher, dass es hier so etwas wie Tageszeitungen und Abendnachrichten überhaupt gibt. Als ich hier das in der letzten Woche groß in den Deutschen Nachrichten gebrachte Thema von Timoschenkos Verurteilung diskutieren wollte, bekam ich nur die sehr gleichgültige Reaktion „Was? Die ist jetzt im Gefängnis?“. Julia meinte, dass die Politikverdrossenheit der breiten Bevölkerung daher rühren würde, dass der Staat einfach zu sehr durch Korruption und Vetternwirschaft geprägt ist und so die demokratische Macht des Einzelnen eigentlich keine Rolle spielt.
Es ist schon merkwürdig, dass ich hier in der Ukraine von den politischen Ereignissen des Landes weniger mitbekomme, als wenn ich in Deutschland wäre. 

Mein Projekt in der Stadt, deren Name nicht genannt werden kann

Schon vor meiner Abreise herrschte rege Verwirrung über den Namen der Stadt, in der mein Projekt ist. Auch mir fällt es, obwohl ich ihn jetzt schon mehrmals verwenden musste, sehr schwer die verschiedenen Transkriptionen nicht durcheinander zu bringen und muss vor jedem Schreiben erst einmal kurz inne halten. Also um das Ganze hier mal zu entschlüsseln: Die Stadt heißt „Dnjepropetrovsk“ (russische Transkription von Днепропетровск) oder „Dnipropetrowsk“ (die ukrainische Transkription von Дніпропетровськ) und wird „Dne-pa-pe-trovsk“ ausgesprochen, wobei es wahrscheinlich noch weitere Transkriptionsvarianten gib.
In Deutschland habe ich noch keinen getroffen, der es geschafft hat sich diesen Namen zu merken. Auch meine Eltern haben immer noch Schwierigkeiten mit der phonetischen Ausformung dieser ach so fremd klingenden Stadt, obwohl sie ihn jetzt schon über 100 Mal gehört haben. Für die meisten scheint der Name einfach nur wie ein Wutausbruch auf der Computertastatur. Aber da ich gezwungener Weise den Name von Ihr-wisst-schon-wem noch öfters in diesem Blog schreiben muss, entschuldige ich mich an dieser Stelle schon einmal dafür, dass er wohlmöglich jedes mal in einer anderer Schreibweise auftauchen wird und hoffe, dass es nicht allzu viel Verwirrung stiften wird.


Ich befinde mich jetzt also in... naja Ihr-wisst-schon-wo und arbeite in der hiesigen Waldorfschule. Die Waldorfschule von Dnipropetrowsk ist eine von insgesamt vier Waldorfschulen in der Ukraine.
 Der Unterricht hier ist sehr ähnlich aufgebaut, wie ich es auch schon aus meiner eigenen Waldorfschulzeit aus Dortmund kenne. Morgens findet der sogenannte Epochenunterricht statt, in dem über einen Zeitraum von ca. 4 Wochen jeden morgen eine Doppelstunde einem bestimmten Fach gewidmet wird. Auch die für die Waldorfschule typischen praktisch orientierten Fächer, wie Gartenbau, Modellieren, Schreinern oder Steinhauen, sind hier in den Stundenplan integriert. In Dnipropetrovsk wird zu 95% nur Russisch gesprochen. So findet auch der Unterricht auf Russisch statt. Ukrainisch wird nur neben Englisch und Russisch als Fremdsprache unterrichtet. 
Wie an allen Schulen in der Ukraine, wird hier von der 1. bis zur 11. Klasse unterrichtet. 

Obwohl die Schule eigentlich in staatlicher Trägerschaft ist und Schulgeld nur in geringer Höhe für die Finanzierung der zusätzlichen Fächer gezahlt werden muss, kommt es mir doch so vor, als würden doch vorwiegend Kinder aus sozial eher höher gestellten Familien die Schule besuchen. Wie ich von anderen gehört habe, hat die Schule einen sehr guten Ruf und gilt auch als schwieriger im Vergleich zu den staatlichen Schulen.
Auch wenn ich sicher bin, dass diese Schule eher eine positive Ausnahme zu den staatlichen Schulen in der Ukraine ist, merkt man auch hier, dass ich mich in einem Entwicklungsland befinde. So etwas wie eine Sporthalle fehlt leider gänzlich, wodurch der Sportunterricht, nach Möglichkeit draußen stattfindet und auch die Ausrüstung der Klassenräume scheint schon sehr alt zu sein. Darüber hinaus werden oft Lehrer eingestellt, die nicht einmal die Ausbildung zu einem Lehrer haben, da einfach qualifiziertes Lehrpersonal fehlt und auch geistig behinderte Schüler und Schüler mit starken Lernschwächen sind hier an der Schule vertreten, wenn auch in sehr geringer Zahl, weil es hier in der Ukraine einfach nur sehr wenige Einrichtungen gibt, die für die spezielle Förderungen solcher Schüler spezialisiert sind.
Meine Arbeit an der Schule ist sehr vielseitig. Während der großen Pause nach dem Epochenunterricht und beim Wechseln der Klassenräume helfe ich Xenia, einem Mädchen aus der 9. Klasse, das eine Gehbehinderung hat und ohne Unterstützung nicht laufen kann. Außerdem betreue ich noch zwei Stunden pro Woche einen kleinen Jungen aus der 2. Klasse mit Down-Syndrom. In der Regel während des Fremdsprachenunterrichts, der für ihn zu schwierig ist, spiele ich mit ihm draußen Fußball oder mache andere Bewegungsspiele. Den Hauptteil meiner Arbeit an der Schule, nimmt das Unterrichten ein. In der 6., 7. und auch in der 9. Klasse unterrichte ich Kleingruppen von Schülern in Englisch, für die der normale Englischunterricht zu langweilig ist. Während die anderen 11.-Klässler Englischunterricht haben, mache ich Einzelunterricht in Deutsch mit einem Jungen aus der Klasse, der große Lernschwierigkeiten hat und deshalb entschieden hat, sich lieber nur auf eine Sprache zu konzentrieren. Außerdem bereite ich auch noch eine kleine Gruppe von 10.- und 11.-Klässlern mit extra Sprachunterricht auf einen zweimonatigen Aufenthalt in Deutschland vor und gebe Deutschunterricht einer kleinen Lehrergruppe. Darüber hinaus bin ich auch noch im Englischunterricht der 10. Klasse anwesend, übernehme kleine Teile des Unterrichts und betreue auch hier während der Gruppenarbeiten die starken Schüler und leite sie an.
Das Unterrichten macht mir wirklich sehr große Freude. Julia ist immer ganz beeindruckt wie akribisch ich meine Stunden vorbereite und auch die Reaktionen der Schüler und der deutlich werdende Lernfortschritt, geben weiter Ansporn, für die Arbeit im Projekt. Es ist auf jeden Fall sehr interessant den Schulstress mal aus der Lehrerperspektive zu erleben.

Mir scheint, dass vor allem die Tatsache Julia als meine Gastmutter zu haben, mir so viele Möglichkeiten in der Schule eröffnet, mich zu entfalten, da sie als erfahrende Lehrerin an der Schule eine sehr gute Stellung hat. Von meiner Vorgängerin, die vor zwei Jahren hier an der Schule als Freiwillige war, weiß ich, dass die vielen Möglichkeiten mich in meinem Projekt einzubringen nicht selbstverständlich sind und ich bin sehr dankbar dafür.

Obwohl mir Veränderungen eigentlich sehr unlieb sind, gewöhne ich mich doch immer äußerst schnell an eine neue Umgebung und fühle mich gleich vertraut. So ist es auch diesmal. Schon nach ein paar Wochen ist es, als wäre ich hier schon immer gewesen.



Hier nun noch ein paar Fotos von der Schule:












Kennenlernen

Auf geht es mit dem Nachtzug nach Dnipropetrowsk, das gerade vertraut werdende Kiew zurücklassend.
Ich muss zugeben, dass ich schon etwas aufgeregt bin. Nicht nur, dass ich zum ersten Mal mit einem Nachtzug fahre (und das dann auch noch in einem fremden Land), sondern weil am Ende der Fahrt mein Leben für das nächste Jahr auf mich wartet, mein Projekt, meine Gastfamilie, mein neues Zuhause.

Ich stelle fest, dass der Nachtzug eigentlich ein ganz komfortables Reisemittel ist. Ich schlafe in einem Abteil mit drei weiteren Passagieren und bin etwas überrascht, als sich alle drei komplett mit Schlafanzug und Abendhygiene für die Nacht fertig machen. Ich hatte mir das mit dem Nachtzug eher so vorgestellt, dass man einfach anstatt einem Sitz eine Art Liege hat und dort etwas dösen kann. Es gibt aber richtiges Bettzeug, Kopfkissen und sogar dünne Matratzen und so richte ich auch mein Schlaflager her und schlafe nicht nur im Zug sondern übernachte hier.
Zum Glück fährt der Zug Dnipropetrowsk als Endstation an. Die Reise dauert ca. 7 Stunden. Auch wenn ich die meiste Zeit davon schlafen konnte, fühle ich mich doch ganz schön fertig, als ich schließlich aus dem Zug aussteige.

Mein Herz fängt etwas an zu rasen. Gleich werde ich Julia treffen, meine Gastmutter. Wir haben schon mehrere E-Mails geschrieben, aber welcher Mensch hinter den Worten steckt, weiß ich natürlich noch nicht.
Ich und mein Gepäck machen uns den Bahnsteig entlang, auf die Suche nach Julia, die hier auf mich warten will.

Ich erblicke eine Frau, die ich schon von Fotos aus dem Internet kenne und auch sie scheint mich zu erkennen und geht auf mich zu. Wir begrüßen uns etwas unsicher. Man kann merken, dass die Situation für uns beide erst einmal merkwürdig ist. So viel hängt für uns beide daran, dass wir uns verstehen, da wir fast ein Jahr nicht nur zusammen wohnen werden, sondern auch noch zur gleichen Arbeit gehen werden. Julia ist Englischlehrerin an der Schule, wo auch ich arbeiten werde. Deshalb spricht sie zum Glück auch Englisch. Obwohl ich Russisch in der Schule über 10 Jahre gelernt habe, ist es noch einmal etwas ganz anderes die Sprache wirklich im alltäglichen Leben anzuwenden  und die Tatsache mich bei Verständigungsschwierigkeiten auf mein Englisch verlassen zu können, gibt mir erst einmal etwas Sicherheit.

Mit der Marschrutka, einer Art Kleinbus geht es nun auf zur Wohnung. Diese liegt in der 8. Etage in einer der schon aus Kiew bekannten alten Plattenbauten aus der Sowjetzeit, in denen hier anscheinend die meisten Menschen leben, da ich weder in Kiew noch auf der Fahrt mit der Marschrutka durch Dnipropetrowsk irgendwelche anderen Wohngebäude gesehen habe. Wenigstens gibt es einen Aufzug, der zwar in ähnlichem Zustand ist wie das Schreckens-Modell aus dem Kiewer Hostel, wenigstens aber etwas größer ist. Die Einrichtung der Wohnung ist schwer in Worte zufassen. Alles wirkt ein bisschen wie aus einer anderen Zeit, jeder Platz scheint ausgenutzt worden zu sein. Die Wohnung besteht aus einer Küche, einem Badezimmer, einem Wohnzimmer, Julias Zimmer und meinem Zimmer. Ich wundere mich ein bisschen, da ich kein Zimmer für Kirill, Julias 16-jährigen Sohn, sehen kann. Julia erklärt mir, dass er früher in meinem Zimmer gewohnt hat und jetzt im Wohnzimmer schlafen wird. Sofort bekomme ich natürlich ein schlechtes Gewissen. Aus E-Mails weiß ich, dass Julia und Kirill mein Zimmer während des Sommers extra für mich renoviert haben und man kann sehen, dass sie sich Mühe gegeben haben.

Da heute der erste Schultag ist, muss sich Julia, nachdem sie mir die Wohnung gezeigt hat, auf den Weg zur Schule machen. Ich habe indessen zum Glück ein bisschen Ruhe und Zeit für mich und kann mich ein wenig mit meiner neuen Umgebung vertraut machen und schlafen.

Am Nachmittag kommt Julia von der Schule zurück und wir verbringen die meiste Zeit zusammen in der Küche, wo ich ihr helfe zu kochen und wir uns die ganze Zeit unterhalten und uns so langsam kennenlernen. Am Abend ist schon fast das ganze Eis gebrochen und ich bin sehr erleichtern, dass wir sehr gut miteinander auszukommen scheinen. Die anfängliche etwas gespannte Unsicherheit vom Morgen löst sich und ich fühle mich jetzt hier sehr willkommen.
Später kommt auch Kirill nach Hause. Auch er scheint sehr nett, spricht aber nur sehr sehr wenig Englisch.

Am nächsten Morgen geht es dann auf zur Schule. Die Schule ist leider ungefähr 45 bis 60 Minuten mit der Marschrutka von der Wohnung entfernt. Die Schule macht auf mich einen überraschend positiven Eindruck. Im Vergleich zu den anderen Gebäuden die ich bis jetzt hier in der Ukraine gesehen habe, macht sich schon bemerkbar, dass es eine Waldorfschule ist. Julia führt mich in der Schule herum und stellt mich den Lehrern vor. Dann werde ich auch Xenia vorgestellt, dem gehbehinderten Mädchen, dem ich helfen soll und ich schnuppere in die ersten Unterrichte rein.

So langsam fange ich also an alles kennenzulernen.

Na starove Kiew!

Nach nur zwei Flugstunden kommen Carla, Luisa und ich heile, wenn auch etwas zermatscht (anscheinend war ich nicht der einzige, der die von der Fluggesellschaft angegebene Handgepäckgewichtsgrenze obligatorisch und nicht optional genommen hat, sodass der ohnehin schon knapp bemessene Freiraum auch komplett mit Gepäck gefüllt war), in einem so fern scheinenden Land an. Wir sind am Kiewer Flughafen gelandet. Nach dem üblichen Gedrängel beim Verlassen des Flugzeugs, Pass- und Visakontrolle und dem erleichterten Wiedersehen aller Gepäckstücke, gehen wir in den Empfangsbereich. Dort warten Lesija und Valerii von ALTERNATIVE-V auf uns.
ALTERNATIVE-V ist die zuständige Organisation hier in der Ukraine, die uns betreut und die meisten der organisatorischen und verwaltungstechnischen Angelegenheiten für uns regelt. 





Dass ich jetzt in der Ukraine bin, fühlt sich sehr surreal an. Wir sind gerade mal zwei Stunden von zu Hause weg und doch sollen wir im, von deutscher Warte aus, so fernen Osteuropa sein. Dank modernem Luftverkehr ist das Reisen zwar eindeutig schneller geworden (wenn auch nicht unbedingt bequemer), doch die Entfernung lässt sich nicht mehr spüren. Ich fühle mich nicht ganz hier und nicht ganz dort, hängengeblieben in einem unrealen Land zwischen Deutschland und der Ukraine. 





Mit dem Auto geht es nun auf in Richtung Kiewer Stadtmitte, wo sich das Büro von ALTERNATIVE-V befindet. Zuvor beim Einsteigen sucht Carla verzweifelt nach dem Anschnallgurt, doch es heißt nur „Das ist nicht nötig. Ihr seid nicht mehr in Deutschland.“ Auf der Fahrt bekommen wir alle unseren ersten Eindruck von der Ukraine. Soweit ist schon mal auffällig, dass die Schnellstraßen mehr Alleen aus Werbetafeln sind und die Skyline der Vororte von riesigen und hässlichen Betonklotz-Wohnungen dominiert wird.

Im Zentrum von Kiew sieht es da schon etwas anders aus. Viele monumental wirkende und reichlich verzierte Prunkbauten zieren die Innenstadt. Alles wirkt sehr groß, fast schon überladen. Es ist ein beruhigendes Gefühl, dass wir wenigstens zu dritt in dieser riesigen und fremden Stadt sind.



Dieses beruhigende Gefühl verfliegt sehr schnell, als wir im Büro von ALTERNATIVE-V angekommen sind. Dort erfahren wir, dass Luisa und Carla die erste Nacht jeweils in den Unterkünften verbringen werden, in denen sie auch während ihres Freiwilligendienstes hier in der Ukraine wohnen sollen, da ihre Projekte auch in Kiew sind. Ich hingegen soll für zwei Nächten in einem Hostel (so etwas wie eine Jugendherberge) unterkommen, bis ich schließlich weiterfahre nach Dnipropetrowsk, wo mein Projekt sich befindet. Wir bekommen ukrainische Griwnjas (Geld), einen Stadtplan und die Anweisung überreicht, morgen um 11.00 Uhr an der Metrostation in der Nähe vom Büro zu sein. Die Aussicht in einer fremden Großstadt alleine das Untergrundnetz zu benutzen, nicht wissend, wo die nächste Station vom Hostel aus sich befindet und wie das mit dem U-Bahn-Fahren hier überhaupt funktioniert, ist nicht gerade beruhigend und ich fühle mich etwas alleingelassen und ausgesetzt.

Es geht also mit dem Auto zu unseren Unterkünften. Als erstes fahren wir zu dem Hostel. Als Valerii den Wagen parkt, schaue ich mich um, kann aber nichts erkennen, dass wie der Eingang zu so etwas wie einer Jugendherberge aussieht. Stattdessen steuern wir auf eine unscheinbare Stahltür in einer nackten Betonwand zu. Das Ganze wirkt wie der Hinterausgang einer alten Lagerhalle. An der Tür befindet sich eine Art Zahlenschloss aus kleinen stiftförmigen Knöpfen mit den Zahlen 1 bis 10. Valerii tippt eine Zahlenkombination ein, mechanisch entriegelt sich die Tür und gibt den alten Treppenflur eines Wohngebäudes preis. Alleine eingezwängt mit meinem Gepäck in einem sargähnlichen Fahrstuhl durchlebe ich ein paar beängstigende Sekunden. Der Fahrstuhl scheint schon seine besten Jahre hinter sich zu haben – mit altem Kaugummi dekoriert lassen sich die Knöpfe für die Etagen gerade noch so bedienen, so etwas wie eine Notrufanlage ist erst gar nicht vorhanden, geschweige denn die aus deutschen Fahrstühlen bekannten TÜV-Siegel oder Angaben zur Belastungsgrenze des Fahrstuhls. Willkommen in der Ukraine!
Erleichtert zwänge ich mich und mein Gepäck wieder aus dem Fahrstuhl und schwöre mir beim nächsten Mal die Treppe zu nehmen, egal wie schwer mein Koffer auch ist.
Die anderen warten schon vor einer ebenfalls ganz unscheinbar und sehr verschlossen wirkenden Stahltür. Nichts weist auf die Existenz eines Hostels hin, alles wirkt sehr kalt und nackt. Soweit habe ich kein wirklich gutes Gefühl dabei hier die Nacht zu verbringen.
Die Tür wird von einer jungen Dame in knappem Leoparden-Spitzennegligee geöffnet und ich befürchte schon, dass man mich als nett gemeinte Willkommensgeste in einem ganz „besonderen“ Etablissement unterbringen will. Als ich allerdings durch die Tür trete, eröffnet sich mir der Blick auf ein doch recht schön und modern eingerichtetes Hostel. Direkt vom Eingansflur abgehend, befinden sich auf der einen Seite zwei große Schlafräume mit mehren Etagenbetten und auf der anderen Seite drei Badezimmer, die mehr als passabel erscheinen. Am Ende des Flurs ist ein wohnzimmerähnlicher Aufenthaltsraum, ausgestattet mit einer gemütlichen Sitzecke, einer Küchenzeile, einem Flachbildschirmfernseher und einem kleinen Schreibtisch. Die junge Dame ist so etwas wie die moderne Form der „Herbergsmutter“, zumindest ist sie für die Verteilung der Zimmer zuständig und meine Ansprechpartnerin bei Fragen.

Ich bekomme einen Schlafplatz in einem der Schlafräume zugewiesen, verstaue meine Sachen und mache mich dann auf zu erkunden, wen es noch in so ein Hostel in Kiew verschlagen hat. Anscheinend ist hier fast jede Ecke der Welt vertreten. Aus China, Australien, Neuseeland, USA, Kanada, Polen, der Schweiz, Frankreich, GB, Spanien, Litauen, Russland und noch weiteren Ländern hat es vorwiegend junge Menschen hierher nach Kiew gezogen. Genauso verschieden wie die Nationalitäten sind, sind auch die Gründe warum ein jeder hier ist. Manche sind zum Party machen gekommen, andere sind auf Weltreise, wiederum andere sind geschäftlich unterwegs. Es ist eine illustre Truppe und sofort werde ich von einigen zu Wodka und kleinen Snacks eingeladen. Ich bekomme hier die Gastfreundschaft der Welt zu spüren.
Immer wieder wird „Na starove!“ (zum Wohl) gerufen und der Wodka nachgekippt, der ganz und gar nicht wie die mit Nagellackentferner-Aroma anmutenden und Speiseröhre verätzenden in Deutschland erwerbbaren Varianten schmeckt, sondern wie der Name eigentlich schon sagt, runter geht wie ein kleines „Wässerchen“. Erst jetzt breitet sich das Gefühl aus, angekommen zu sein...




Am nächsten Morgen (Samstag) klappt die Suche nach der nächsten Metrostation überraschend gut. In der Metrostation kaufe ich mir an einem Schalter sogenannte Jetons (kleine Plastikchips), die, wie ich mir vorher im Hostel habe sagen lassen, als „Fahrkarte“ für die Metro dienen. Um zu der U-Bahn zu kommen, muss man ein Jeton in einen mit Lichtschranke kontrollierten Durchgang einwerfen und dann eine Rolltreppe runter fahren, die einen über eine Länge von mehr als 200 Metern im wahrsten Sinne des Wortes in den Untergrund befördert. Zum Glück muss ich nur eine Station fahren, um zu dem vereinbarten Treffpunkt zu kommen. Trotz riesiger Menschenströme, ausgespien von den U-Bahnen, schaffen wir es glücklicherweise uns alle zu finden. Lesija und Jena, eine weitere Mitarbeiterin von ALTERNATIVE-V, machen mit uns eine Stadtführung durch Kiew und geben uns danach noch ein paar Aufgaben, wie bei einer Stadtrallye, die wir zu dritt erfüllen müssen.

Eine Aufgabe der Stadtrallye ist, ein Foto mit einer Gruppe Ukrainer zu machen. Auf dem zentralen Platz in Kiew wird zur Zeit gerade eine ukrainische Tanzshow abgedreht, bei der Gruppen von mehr als hundert Tänzern angeleitet von einem Starchoreographen in Formation tanzen. Das Ganze wird meist aus der Vogelperspektive gefilmt, da die Gruppen verschiedene Muster oder Formen bilden. Die Tänzergruppen stammen alle jeweils aus einer Stadt der Ukraine und die verschiedenen Städte treten hier gegeneinander an. Name der Show ist Maidan’s, wobei das Wort „Maidan“ im ukrainischen „Platz“ bedeutet und durch das angefügte „’s“ eine zweideutige Konnotation bekommt, da es sich wie das Englisch „my dance“ anhört. Carla, Luisa und ich schauen eine Weile fasziniert zu und kommen dann auf die Idee, ein paar von den verkleideten Tänzern von Maidain’s mit uns vor die Linse zu bekommen, für die Gruppenfoto-Aufgabe der Stadtrallye. Allerdings befinden sich die Tänzer auf einem durch einen Zaun abgesperrten Areal. Trotzdem schaffen wir es mit Hilfe von Gebärdensprache, ein paar Brocken Russisch und einigen nicht ganz verstandenen Erklärungsversuchen in Englisch, eine kleine Gruppe von Tänzern zum Zaun zu bekommen und ein Foto mit ihnen zu machen. Hier das Resultat:



Am Sonntag morgen treffen wird uns diesmal im Büro von ALTERNATIVE-V, wo man uns über die zahlreichen organisatorische Angelegenheiten aufklärt und wir uns auch über unsere Projekte und unsere Freiwilligendienste unterhalten.
Abends werde ich von Valerii mit dem Auto zum Bahnhof gebracht, von wo ich mit dem Nachtzug nach Dnipropetrowsk fahren werde.

Auf Wiedersehen Kiew! Willkommen nächstes Abenteuer!

„Aufbrechen“

Um meinem alten Schul-Ich („Klukas Lerner“) gerecht zu werden, muss ich diesen Blogeintrag mit ein paar wichtigtuerischen Fremdwörtern und einer Dudendefinition beginnen:

„aufbrechen“ – Verb, unregelmäßig; Bedeutungen:
  1. transitiv: öffnen, aufmachen, trennen
  2. transitiv metaphorisch: lockern, lösen, etwas loswerden, alte Strukturen aufbrechen
  3. transitiv: auf den Weg machen, sich entfernen

Es ist also so weit! Nach Stapeln von ausgefüllten Formularen, gleich mehreren Vorbereitungsseminaren, unzähligen Telefonaten und Mails mit meiner Entsendeorganisation und einem Gefühlswirrwarr von mehreren schwerfallenden Verabschiedungen, breche ich schließlich frühmorgens am 2. September vom Dortmunder Hauptbahnhof auf. Ich sitze im Zug nach Frankfurt Airport, wo ich mich mit Carla und Luisa treffen werde, die ebenfalls als Freiwillige in die Ukraine fahren.
Ich bin nun auf dem Weg in die Ukraine!
Auf einmal ist es mir sehr bewusst, dass ich wirklich aufbreche. Aufbreche von meinem gewohnten Umfeld, meiner Familie, meinen Freunden, alles Bekannte aufbreche auf der Suche nach etwas Neuem. Ich breche auf von Schulrhythmus, gewohntem Essen und mit einem Abiturkampfgewicht von ... kg (unerklärlicherweise funktionieren die Tasten für die Zahlen auf meinem Computer gerade nicht) und bin gespannt, wie sich alles in der Ukraine entwickeln wird.


Trotz in weiser Voraussicht eingeplantem Zeitpuffer, werde ich etwas nervös als aus den vom Bahnpersonal durchgesagten „10 Minuten Verspätung“ so langsam 40 Minuten werden. Naja, typisch DB!
Dennoch komme ich mit nicht allzu großer Verspätung an und lasse mich auf dem riesigen Frankfurter Flughafen von Schildern, den Menschenmassen und einer SMS von einer meiner Mitreisenden glücklicherweise zum richtigen Terminal und zum richtigen Ticket-Schalter treiben.

Am Schalter angekommen atme ich erleichtert aus, als mein Gepäckstück auf die Waage gestellt wird und genau 20 kg angezeigt werden. Mit einem anerkennenden „sehr gut“ zu meinem Koffergewicht, wird mir meine Boardkarte vom Schalterpersonal ausgehändigt und ich mache mich auf, Carla und Luisa zu finden, die ihre Gepäckstücke schon eingecheckt haben. Zusammen geht es nun durch die diversen Sicherheitsschleusen auf zum Flieger, endgültig auf in die Ukraine.

Auf Wiedersehen, wir brechen auf!