Mittwoch, 19. Oktober 2011

Mein Projekt in der Stadt, deren Name nicht genannt werden kann

Schon vor meiner Abreise herrschte rege Verwirrung über den Namen der Stadt, in der mein Projekt ist. Auch mir fällt es, obwohl ich ihn jetzt schon mehrmals verwenden musste, sehr schwer die verschiedenen Transkriptionen nicht durcheinander zu bringen und muss vor jedem Schreiben erst einmal kurz inne halten. Also um das Ganze hier mal zu entschlüsseln: Die Stadt heißt „Dnjepropetrovsk“ (russische Transkription von Днепропетровск) oder „Dnipropetrowsk“ (die ukrainische Transkription von Дніпропетровськ) und wird „Dne-pa-pe-trovsk“ ausgesprochen, wobei es wahrscheinlich noch weitere Transkriptionsvarianten gib.
In Deutschland habe ich noch keinen getroffen, der es geschafft hat sich diesen Namen zu merken. Auch meine Eltern haben immer noch Schwierigkeiten mit der phonetischen Ausformung dieser ach so fremd klingenden Stadt, obwohl sie ihn jetzt schon über 100 Mal gehört haben. Für die meisten scheint der Name einfach nur wie ein Wutausbruch auf der Computertastatur. Aber da ich gezwungener Weise den Name von Ihr-wisst-schon-wem noch öfters in diesem Blog schreiben muss, entschuldige ich mich an dieser Stelle schon einmal dafür, dass er wohlmöglich jedes mal in einer anderer Schreibweise auftauchen wird und hoffe, dass es nicht allzu viel Verwirrung stiften wird.


Ich befinde mich jetzt also in... naja Ihr-wisst-schon-wo und arbeite in der hiesigen Waldorfschule. Die Waldorfschule von Dnipropetrowsk ist eine von insgesamt vier Waldorfschulen in der Ukraine.
 Der Unterricht hier ist sehr ähnlich aufgebaut, wie ich es auch schon aus meiner eigenen Waldorfschulzeit aus Dortmund kenne. Morgens findet der sogenannte Epochenunterricht statt, in dem über einen Zeitraum von ca. 4 Wochen jeden morgen eine Doppelstunde einem bestimmten Fach gewidmet wird. Auch die für die Waldorfschule typischen praktisch orientierten Fächer, wie Gartenbau, Modellieren, Schreinern oder Steinhauen, sind hier in den Stundenplan integriert. In Dnipropetrovsk wird zu 95% nur Russisch gesprochen. So findet auch der Unterricht auf Russisch statt. Ukrainisch wird nur neben Englisch und Russisch als Fremdsprache unterrichtet. 
Wie an allen Schulen in der Ukraine, wird hier von der 1. bis zur 11. Klasse unterrichtet. 

Obwohl die Schule eigentlich in staatlicher Trägerschaft ist und Schulgeld nur in geringer Höhe für die Finanzierung der zusätzlichen Fächer gezahlt werden muss, kommt es mir doch so vor, als würden doch vorwiegend Kinder aus sozial eher höher gestellten Familien die Schule besuchen. Wie ich von anderen gehört habe, hat die Schule einen sehr guten Ruf und gilt auch als schwieriger im Vergleich zu den staatlichen Schulen.
Auch wenn ich sicher bin, dass diese Schule eher eine positive Ausnahme zu den staatlichen Schulen in der Ukraine ist, merkt man auch hier, dass ich mich in einem Entwicklungsland befinde. So etwas wie eine Sporthalle fehlt leider gänzlich, wodurch der Sportunterricht, nach Möglichkeit draußen stattfindet und auch die Ausrüstung der Klassenräume scheint schon sehr alt zu sein. Darüber hinaus werden oft Lehrer eingestellt, die nicht einmal die Ausbildung zu einem Lehrer haben, da einfach qualifiziertes Lehrpersonal fehlt und auch geistig behinderte Schüler und Schüler mit starken Lernschwächen sind hier an der Schule vertreten, wenn auch in sehr geringer Zahl, weil es hier in der Ukraine einfach nur sehr wenige Einrichtungen gibt, die für die spezielle Förderungen solcher Schüler spezialisiert sind.
Meine Arbeit an der Schule ist sehr vielseitig. Während der großen Pause nach dem Epochenunterricht und beim Wechseln der Klassenräume helfe ich Xenia, einem Mädchen aus der 9. Klasse, das eine Gehbehinderung hat und ohne Unterstützung nicht laufen kann. Außerdem betreue ich noch zwei Stunden pro Woche einen kleinen Jungen aus der 2. Klasse mit Down-Syndrom. In der Regel während des Fremdsprachenunterrichts, der für ihn zu schwierig ist, spiele ich mit ihm draußen Fußball oder mache andere Bewegungsspiele. Den Hauptteil meiner Arbeit an der Schule, nimmt das Unterrichten ein. In der 6., 7. und auch in der 9. Klasse unterrichte ich Kleingruppen von Schülern in Englisch, für die der normale Englischunterricht zu langweilig ist. Während die anderen 11.-Klässler Englischunterricht haben, mache ich Einzelunterricht in Deutsch mit einem Jungen aus der Klasse, der große Lernschwierigkeiten hat und deshalb entschieden hat, sich lieber nur auf eine Sprache zu konzentrieren. Außerdem bereite ich auch noch eine kleine Gruppe von 10.- und 11.-Klässlern mit extra Sprachunterricht auf einen zweimonatigen Aufenthalt in Deutschland vor und gebe Deutschunterricht einer kleinen Lehrergruppe. Darüber hinaus bin ich auch noch im Englischunterricht der 10. Klasse anwesend, übernehme kleine Teile des Unterrichts und betreue auch hier während der Gruppenarbeiten die starken Schüler und leite sie an.
Das Unterrichten macht mir wirklich sehr große Freude. Julia ist immer ganz beeindruckt wie akribisch ich meine Stunden vorbereite und auch die Reaktionen der Schüler und der deutlich werdende Lernfortschritt, geben weiter Ansporn, für die Arbeit im Projekt. Es ist auf jeden Fall sehr interessant den Schulstress mal aus der Lehrerperspektive zu erleben.

Mir scheint, dass vor allem die Tatsache Julia als meine Gastmutter zu haben, mir so viele Möglichkeiten in der Schule eröffnet, mich zu entfalten, da sie als erfahrende Lehrerin an der Schule eine sehr gute Stellung hat. Von meiner Vorgängerin, die vor zwei Jahren hier an der Schule als Freiwillige war, weiß ich, dass die vielen Möglichkeiten mich in meinem Projekt einzubringen nicht selbstverständlich sind und ich bin sehr dankbar dafür.

Obwohl mir Veränderungen eigentlich sehr unlieb sind, gewöhne ich mich doch immer äußerst schnell an eine neue Umgebung und fühle mich gleich vertraut. So ist es auch diesmal. Schon nach ein paar Wochen ist es, als wäre ich hier schon immer gewesen.



Hier nun noch ein paar Fotos von der Schule:












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