Erstaunlich häufig wurde ich bis jetzt schon gefragt, wie das Wetter hier sei. Irgendwie kam es mir so vor, als würde in der Frage immer eine leise Mitleidsbekundung mitschwingen, da die meisten wahrscheinlich vermuteten, ich wäre hier in die Ausläufer der sibirischen Tundra gereist und müsste mich jeden Morgen mit Eishacke und Schneeschuhen zur Schule durchschlagen.
Bis jetzt ist dies zum Glück noch nicht so. Die ersten Wochen des Septembers waren hier noch sehr angenehm warm, ich hatte sogar Gelegenheit eine kurze Hose zu tragen. Mittlerweile ist es schon etwas kälter geworden, wobei es auch von Tag zu Tag sehr wechselhaft ist. An manchen Tagen klettert das Thermometer unter die 5°-Grenze und ich trage zumindest morgens schon Handschuhe und Mütze. Einen Tag später kann es aber schon gleich 10° wärmer sein.
Wie sich das Wetter gen Winter hin entwickeln wird und ob ich mich dann schließlich doch mit Schneeschuhen und Eishacke ausstatten muss, weiß ich noch nicht. Ich halte euch aber auf dem Laufenden.
Nun zum für mich wichtigsten Thema überhaupt: dem Essen. Vor meiner Abreise war ich sehr skeptisch, was da auf mich zukommen würde. Vor allem als Vegetarier wurde mir von vielen prophezeit, dass es für mich besonders schwer werden würde. So rieten mir ehemalige Freiwillige, die ebenfalls in der Ukraine waren, ich solle einfach eine Fleisch-Allergie vortäuschen um Miss- und Unverständnis vorzubeugen.
Das Einzige was nun tatsächlich Gefahr läuft schwer ( bzw. noch schwerer) zu werden, bin ich. Julia, meine Gastmutter kocht jeden Tag gleich mehrmals. Mindestens einmal in der Woche wird frisches Brot und Kuchen selber gebacken. In der Regel werden gleich große Portionen von allem gekocht und mehrere Tag davon gezehrt und jeden Tag kommt etwas Neues dazu. Sei es Suppe, Gemüseragouts, Kompotts, gefüllte Teigtaschen, Salate, Pfannekuchen, Saucen, verschiedene Aufläufe und weitere Gerichte, für die ich gar keinen Sammelbegriff finden kann, immer wird irgendetwas gekocht. Nach dem Essen trinkt man hier in der Regel noch einen Tee, da während des Essens eigentlich nicht getrunken wird, und verschmaust noch ein paar Kekse, selbstgebackenen Kuchen oder auch noch ein Butterbrot.
Was mir hier sehr auffällt, ist der Umgang mit Nahrungsmitteln und die Art zu essen. Besonders im Vergleich mit jener Erfahrung, die ich während meines Auslandsaufenthaltes in der 11. Klasse in Amerika gesammelt habe, macht sich hier eine komplett andere Beziehung und Einstellung gegenüber Nahrungsmitteln bemerkbar. In Amerika schien Essen seinen Ursprung in schon verzehrfertiger Form im Supermarkt zu haben. Wir haben quasi nur Pakete und Tüten gekauft, die in der Mikrowelle zu so etwas wie Essen wurden. Und auch in Deutschland scheint uns der Blick dafür zu verschwimmen, wo Essen herkommt, was das aus der Dose eigentlich einmal war. In der Gemüseabteilung wird uns in der Regel auch nur gentechnisch schön geformtes Obst und Gemüse präsentiert und wenn irgendetwas nicht mehr ganz frisch und lecker ist, wird es sofort weggeschmissen.
In der Ukraine ist das anders. Das meiste Obst und Gemüse kommt von den Sommerhäusern von Bekannten oder der Familie, das dort selbst angebaut und geerntet wurde. Auch Lebensmittel wie Milch und Nüsse bekommen wir auf diesen Weg gleich in großen Mengen. Im Sommer und Herbst wird hier viel eingekocht für den Winter. Was mich besonders beeindruckt, dass hier so gut wie nichts weggeschmissen wird. Obst und Gemüse, das nicht mehr ganz so schön aussieht, wird von den nicht mehr guten Stellen befreit und dann einfach zu Saucen oder Kompotts verarbeitet. Für sauer gewordene Milch gibt es hier extra Rezepte, aus denen super leckere Kuchen und andere Teiggerichte werden.
Dieser Umgang mit Lebensmitteln hat mich auf jeden Fall unseren Umgang in Deutschland überdenken lassen. Was mir in Deutschland immer völlig normal erschien, lässt mich hier stutzig werden und ich erkenne erst in was für einer Wegwerfgesellschaft wir leben. So bin ich auch schließlich beim Recherchieren auf den erschreckenden Fakt gestoßen, dass wir so viele Nahrungsmittel wegschmeißen, dass damit zweimal alle Hungernden der Welt ernährt werden könnten. Traurig!
Ein weiteres interessantes Thema ist Politik. Anscheinend ist es aber nur für mich interessant, denn in der Ukraine herrscht gelebte Politikverdrossenheit. Ich kenne hier keinen, der Zeitungen empfängt oder Nachrichten schaut. Bis jetzt bin ich noch nicht einmal so sicher, dass es hier so etwas wie Tageszeitungen und Abendnachrichten überhaupt gibt. Als ich hier das in der letzten Woche groß in den Deutschen Nachrichten gebrachte Thema von Timoschenkos Verurteilung diskutieren wollte, bekam ich nur die sehr gleichgültige Reaktion „Was? Die ist jetzt im Gefängnis?“. Julia meinte, dass die Politikverdrossenheit der breiten Bevölkerung daher rühren würde, dass der Staat einfach zu sehr durch Korruption und Vetternwirschaft geprägt ist und so die demokratische Macht des Einzelnen eigentlich keine Rolle spielt.
Es ist schon merkwürdig, dass ich hier in der Ukraine von den politischen Ereignissen des Landes weniger mitbekomme, als wenn ich in Deutschland wäre.